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Der Zwang zur Freiwilligkeit

Der Zwang zur Freiwilligkeit

Das Beispiel China zeigt, dass Sympathien keine rein privaten Angelegenheiten sind — bei bestimmten Ländern ist das Mögen Pflicht, bei anderen geradezu sittenwidrig

Ich mag das Sportfreunde-Stiller-Lied „Tischtennis“ sehr. Nicht weil es ein einsamer Höhepunkt der Musikgeschichte oder herausragend genial produziert wäre; aber ich finde es charmant, auch oder vor allem wegen einer Strophe oder vielmehr dem Chorus und genauer gesagt wegen einem einzigen Wort. Der Refrain geht so: „Mag doch einfach Tischtennis, mein Kind / Schau, wie gut Chinesen darin sind.“

Heute ist das wahrscheinlich rassistisch — wegen der Behauptung, Chinesen seien anders als andere Menschen. Wahrscheinlich darf man bei uns auch gar nicht mehr öffentlich behaupten, Chinesen seien in irgendetwas „gut“, weil das die westliche Propaganda unterläuft, der zufolge Chinesen vor allem „aggressiv“ und „immer aggressiver“ sowie auf „rücksichtslose Expansion“ aus sind — was streng genommen wiederum rassistisch sein könnte, weshalb man sich fragen dürfte, ob der Krieg neuerdings wichtiger ist als die Wokeness und der Rassismus; aber das führt hier zu weit. Damals jedenfalls war der Satz auf sehr liebenswürdige Weise ein bisschen doof (gestellt): Wieso sollte irgendjemand Tischtennis mögen, nur weil Chinesen das gut können?

Aber was mich gepackt hat, sofort beim ersten Hören, war die Aufforderung: „Mag doch!“ Das hat mich an eine Szene in meiner Kindheit erinnert, an die ich mich wahrscheinlich deswegen so gut erinnern kann, weil damit eventuell meine so heil- wie unheilvolle Begeisterung für Sprache ihren Anfang nahm.

Dortmals passierte dies: Meine Mutter hatte mir irgendwas angeschafft, mal wieder vergeblich, vermutlich Hausaufgaben oder so einen Schmarrn. Auf die inquisitorische Frage, wieso ich mal wieder nicht getan hatte, was man mir zu tun angeschafft hatte, antwortete ich wahrheitsgemäß: „Weil ich nicht will!“ Das konnte in einer regelbasierten Ordnung nicht durchgehen. Folgerichtig sagte meine Mutter: „Dann will halt!“

Es ist der gleiche Fehler — oder sagen wir: Lapsus — wie in Rüdiger Linhofs Text. Man kann niemandem befehlen oder anschaffen, etwas zu mögen oder zu wollen. Das gilt übrigens auch fürs Können: Wer in einer Kneipe sitzt und nicht in der Lage ist, sein Bier zu bezahlen, wird von der Aufforderung „Dann kann halt!“ unweigerlich überfordert sein.

Man komme mir jetzt bitte nicht mit einer Verschwörungstheorie über Hilfsverben oder ähnlichen Schwurbeleien. Ich habe lange genug Germanistik studiert, um wenigstens zu wissen, wo man so was nachschauen könnte. Mag ich aber nicht, weil ich zu faul bin.

Außerdem will ich mir den Gedanken nicht nehmen oder versauen lassen, dass es bestimmte Dinge gibt, zu denen ein Mensch, weil er Mensch ist, nicht gezwungen werden kann. Die muss er freiwillig tun oder gar nicht. Ja, ich weiß: Das „muss“ ist hier fehl am Platze, weil man „müssen“ ja auch niemandem anschaffen kann.

Sagen wir: Diese Dinge kann man nur freiwillig tun. Ich mag aber auch den Gedanken, dass man sie tun mögen, wollen oder können nur freiwillig muss, weil man nur dann ein Mensch ist, wenn man in der Lage ist, etwas zu mögen, zu wollen und zu können.

Nun will man mir und uns, wie erwähnt, seit einiger Zeit einreden, dass es unbedingt angebracht sei, Chinesen nicht zu mögen. Mit Tischtennis hat das diesmal nichts zu tun; es geht vielmehr darum, dass unser imperialer Herr, die Führung der Vereinigten Staaten von Amerika, beschlossen hat, es sei nötig, Krieg gegen die Volksrepublik China zu führen. Da muss der Deutsche mittun, und ein Krieg lässt sich nun mal nur gegen etwas führen, was man nicht mag, weshalb die Befehlsparole an jeden einzelnen Untertan der Westwerteweltmacht lautet: „Mag Chinesen nicht, mein Kind! Schau, wie aggressiv und expansiv die sind!“

Es führt wahrscheinlich zu weit, den kompliziert geknüpften Multiknoten, den der Gesamtkonflikt darstellt, im Rahmen dieser Kolumne detailliert aufzudröseln. Drum sei nur kurz angedeutet, worum es ungefähr geht: 1949 gründete sich die sogenannte Republik China auf Taiwan, nachdem die von den deutschen Nazis unterstützte Kuomintang-Partei unter ihrem Führer Chiang Kai-shek im chinesischen Bürgerkrieg Mao Tse-tungs Kommunisten unterlegen und auf die ehemals von Japan besetzte Insel Formosa geflohen war, wo Chiang als Diktator sein Regime errichtete und fortan behauptete, der alleinige legitime Herrscher und Vertreter von ganz China und seiner Milliarde Einwohner zu sein.

Das fand nicht jeder lächerlich. Zwar ist Taiwan kaum größer als das — lustigerweise von dem ehemaligen Maoisten Winfried Kretschmann regierte — Ländle Baden-Württemberg, aber eine kryptofaschistische Minidiktatur war zumindest für strikt antikommunistische potentielle Verbündete und Partner nun mal leichter zu „händeln“ als ein kommunistisches Riesenreich, das seinen früheren kolonialistischen Ausbeutern und kapitalistischen Imperialisten insgesamt eine gehörige Abneigung entgegenbrachte und zudem in den folgenden Jahrzehnten eine ganze Reihe tragischer Konvulsionen durchmachte.

So kam es, dass das Regime in Taiwan bis in die siebziger Jahre als „offizielles“ China und dessen Gesamtvertreter galt und als solcher sogar im UN-Sicherheitsrat saß. Dann hatte US-Außenminister Henry Kissinger mal wieder eine seiner teuflischen Ideen: Man könnte doch, schlug er seinem Präsidenten Richard Nixon vor, sich ein bisserl an die verhassten Rotchinesen „annähern“ und damit einen Keil zwischen diese und die noch viel verhasstere Sowjetunion treiben, die dann vielleicht schneller zusammenklappen, sich aber auf jeden Fall gehörig ärgern werde. Eventuell könne man auf diese Weise sogar die ebenfalls kommunistischen Nordvietnamesen, mit deren Ausrottung die USA zu jener Zeit vorrangig — und letztlich vergeblich — beschäftigt waren, doch noch niederringen und sich so oder so um China eben später kümmern, wenn der Rest erledigt sei.

Also reisten Nixon und Kissinger nach Peking, schüttelten dort eifrig grinsend die Hände von Mao und seinem Außenminister Tschu En Lai, die sowjetische Führung tobte vor Zorn, und Chiangs Taiwan-Regime flog als nicht weiter wichtiger Kollateralschaden aus dem UN-Sicherheitsrat, wo fortan die volksrepublikanische Administration die Interessen der Chinesen vertrat.

Diese — die Chinesen — blieben indes die gleichen. Es gab und gibt ja nur ein China, mit zwei Möchtegern-Regierungen, von denen die eine nun noch ein bisschen mehr „möchtegern“ war, so wie Winfried Kretschmann auch ziemlich „möchtegern“ wäre, wenn er eines Tages daherkäme und einen Sitz im UN-Sicherheitsrat forderte, weil er der rechtmäßige Vertreter aller Deutschen sei; schließlich sei früher mal ein gesamtdeutscher König in seinem Ländle geboren und er selbst ein Nachfahre von Mao Tse-tung, oder irgend so ein Firlefanz.

Eines Tages jedoch gab es dann keine Sowjetunion mehr, und auch ihr Rechtsnachfolger Russland schien in den Neunzigern so erledigt wie ein halbes Pfund Wurstaufschnitt, das man nur noch einpacken musste. Das änderte sich mit dem Bösling Wladimir Putin, aber den nahm im Westen niemand so recht ernst; zudem flutschte ein ehemaliger Ostblockstaat nach dem anderen ins US-Vasallengefolge, da würde sich das irgendwann schon auch noch ergeben.

Vorrangig wurde nun wieder die Unterwerfung Chinas, das man zu diesem Zweck mit US-Militärbasen regelrecht umgürtelte und zugleich mit anschwellendem Propagandageheul dessen „aggressive Expansionsgelüste“ anprangerte. Die NATO-Vasallen prangerten, wie sich das gehört, eifrig mit.

So kam es, dass beispielsweise Millionen deutsche Demonstranten gegen das „Corona“-Regime von der staatstragenden Propaganda als rechtsextreme Verschwörungsschwurbler verleumdet wurden, während man ein paar Dutzend chinesische Querdenker, die genau das Gleiche in ihrem Land taten und vertraten, zu heroischen Vorkämpfern der Demokratie und der Menschenrechte heiligte. Vor allem aber musste ein Keil her, den man so in das böse China hineinrammen konnte, wie man einst China in den Weltkommunismus hineingerammt hatte und nun die Ukraine in das Teufelsreich Russland hineinzurammen versuchte.

Und da kam Taiwan wieder ins Spiel. Zwar ist nach wie vor festgeschriebenes Völkerrecht, dass es nur ein China gibt, das von einer einzigen Regierung vertreten wird, und dass man sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen hat.

Aber in einer „regelbasierten Ordnung“, deren sogenannte Regeln von den Imperatoren der Westwerteweltmacht nach Belieben täglich oder stündlich geändert werden, lässt sich mit gehörigen Portionen von wolkigem Moralgefasel über irgendwelche Westwerte recht leicht ein imaginäres zweites China herbeiphantasieren, das durch beständiges Mediengetrommel mit der Zeit scheinbar ganz handfest real und zur — sowieso vom Westen mit Waffen vollgestellten — Trutzburg im „autokratischen“ Ozean wird, und um dessen eigene Pläne, Sorgen und Wünsche man sich einen Dreck zu scheren braucht, weil einen zumindest diese „inneren Angelegenheiten“ dann doch wieder nichts angehen. Und schließlich ist der angestrebte „Regime Change“ doch auch im Sinne der Taiwanesen, wegen „Freiheit“, „Demokratie“ und dem ganzen Zinnober, nicht wahr? Hier kommt der Weihnachtsmann, mein Kind!

Drum ist jetzt auch in Deutschland der Chinese ein ganz böser Feind, den man mindestens zwei Minuten täglich inbrünstig hassen muss — im Wechsel mit dem Russen und dem Iraner und dem Syrer und dem übrigen antiwestlichen Kroppzeug.

Es mag ein bisschen paradox wirken, gleichzeitig ein Arsenal von Kontroll- und Unterdrückungsmechanismen einzuführen, das man sich zumindest teilweise von eben jenen Chinesen abgeschaut hat, die man eben davon befreien zu wollen behauptet. Aber hey, wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe!

Widersprüche sind der Westwerteweltmacht außerdem traditionell schnurz, und sowieso können wir auch das viel besser als die; das werdet ihr dann schon sehen!
Dabei sind Chinesen doch bekanntermaßen so freundliche Leute! Und das meine ich diesmal ebenfalls nicht im sozusagen positiven Sinne rassistisch und beziehe es auch nicht auf die notorische Höflichkeit, mit der man zum Beispiel in chinesischen Lebensmittelgeschäften auch zu Zeiten begrüßt wurde, als krude Verschwörungstheoretiker mit flammenden Worten warnten, über solche Läden würden Killerviren ins Land geschleust.

Vielmehr meine ich zum Beispiel die wissenschaftlich offenbar recht gut belegte These, die sogenannte Omikron-Mikrobe, mit der die „Corona“-Massenhysterie sich endgültig ins Reich des lächerlichen Karnevals verlagerte und nur noch bei überkandidelten Pharmaministranten die bekannten Symptome von Geifer bis Wegsperrungswahn hervorrief — die These also, dieser Mikroorganismus sei ein von chinesischen Biologen zusammengeklontes Angebot zur Besinnung und zur Rückkehr zum gesunden Menschenverstand gewesen: Hustet ab, hysterische Milchgesichter, und kehrt auf den Boden der Vernunft zurück!

Abgesehen davon, ob man diese These glauben mag oder nicht, sind die meisten Chinesen aber ohne jeden Zweifel im Normalfall nette, freundliche Menschen, so wie die meisten anderen halt auch. Diese Menschen aus durchsichtigen Absichten zu Hassobjekten zu erklären und ihnen notfalls mit Atomwaffen zu Leibe rücken zu wollen, ist hingegen ebenso wenig nett, freundlich, ethisch, moralisch und menschlich zulässig, wie es das schon bei Russen und Iranern und bei den einheimischen Gegnern des „Corona“-Regimes und anderer Zwangsmaßnahmen war und weiterhin ist. Auch vom Standpunkt der reinen Vernunft aus wäre es wesentlich dienlicher, freundlich lächelnd zu singen: „Mag doch einfach Chinesen, mein Kind — schau, wie gut im Tischtennis die sind!“


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